Betrachtungen zum Orkan ‚Kyrill‘ vom 18./19.01.2007

Windbruch

‚Kyrill‘ war ein ausgesprochen windiges Kerlchen, aber schon ‚Lothar‘ zu Weihnachten 1999 war garstiger: Erstens hat er sich nicht so lange vorher angekündigt, zweitens waren die Böen stärker, selbst im flachen Binnenland wurden mehr als 170 km/h gemessen (Paris).
Die InhaberInnen von Baumärkten können sich dennoch über eine verstärkte Nachfrage an Baumaterialien freuen.
Nichtsdestoweniger gehört ein Orkan wie ‚Kyrill‘ nicht zu den Wetterereignissen, die mensch öfter haben möchte. Außerdem gab es eine ganze Reihe bemerkenswerter Beobachtungen und Messungen. Sie alle im regulären ‚Wetter der Woche‘ aufzuführen, würde den Rahmen sprengen – deshalb gibt es diese kleine Extra-Seite.
Schöne Grüße gehen auch ins Land Brandenburg an den Namenspaten des Wirbels – es war ein Geburtstagsgeschenk seiner Kinder.

Die Zugbahn

Bereits am Montag, den 15.1.2007, prognostizierte der DWD den Aufbau einer schweren Sturmlage. Einen Tag später bildete sich bei Nova Scotia eine frontale Welle. Diese entwickelte sich zum Tief ‚Kyrill‘ und lag am 17.1. mit einem Kerndruck von etwa 985 hPa östlich von Neufundland. ‚Kyrill‘ zog rasch nach Osten und erreichte am 18.1. gegen Mittag die Nordsee. Der Kerndruck lag mittlerweile unter 965 hPa. Der Orkanwirbel vertiefte sich nicht mehr nennenswert, wanderte aber rasch über die Ostsee hinweg nach Russland, wo er bereits am späten Abend eintraf. Dort bewegte er sich dann nur noch gemächlich weiter und erreichte am 24.1. die Kara-See.

Der Wind

Irland, Großbritannien, die Niederlande, Belgien, Deutschland, die Schweiz, Österreich und Tschechien sind in den ‚vollen Genuss‘ des Sturmfeldes gekommen. Weitere Staaten waren zwar auch von ‚Kyrill‘ betroffen, hatten aber keinen Orkan. Auf den Bergen wehte der Wind am stärksten. Mein Lieblingsberg Brocken musste sich mit Platz 4 begnügen, hinter dem Wendelstein, der Śż (Schneekoppe) und dem Aletschgletscher, wo 225 km/h gemessen wurden. Die höchsten Windgeschwindigkeiten außerhalb des Berglandes wurden aber nicht nur an den Küsten, sondern auch an einigen Binnenland-Stationen gemessen. Hier sind zuallererst Düsseldorf und Artern mit 144 km/h zu nennen. Die Tabelle gibt einen Überblick über die Spitzengeschwindigkeiten (in km/h).

 

Die Berge Das Flachland (bis 250 m) Die Lagen dazwischen
 Aletschgletscher 225     Artern  144     Weinbiet 162
 Śnieżka 216     Düsseldorf  144     Kocelovice 151
 Wendelstein 202     Kiel  140     Aigen 144
 Brocken 198     Dublin  137    Přimda 140
 Fichtelberg 184     Wernigerode  137     Salzburg 140
 Zugspitze 176     Płock  137     Schleiz 140
 Wasserkuppe 173     Wrocław  137     Chieming 137
 Großer Arber 169     Blackpool  135     Fürstenzell 137
 Feldberg/Schwarzwald 166     Crosby  135     Kahler Asten 137
 Hohenpeißenberg 162    Boltenhagen  133    Mühldorf 137
 Kasprowy Wierch 155    Glücksburg  133    Schmücke 137
 Chopok 151    Legnica  133    Zinnwald 137
 Feuerkogel 151    Łódź  133    Linz 137
 Jungfraujoch 150    Słubice  133    Milešovka 137
 Lysá Hora  148    Wilhelminadorp  133

 

In Berlin verhielt sich der Wind bis zum Mittag völlig friedlich, nahm dann aber stetig zu. Gegen Abend gab es mit dem Durchgang der Kaltfront schwere Sturmböen (Stärke 10). Der ‚Höhepunkt‘ kam aber noch: Als gegen 23 Uhr die Achse des Höhentroges die Stadt passierte, wurden auch Orkanböen (Stärke 12) registriert.

Die Temperatur

‚Kyrill‘ bezog seine Energie aus dem Temperaturgegensatz zwischen polarer Luft im Norden und tropischer Luft im Süden. Aufgrund der hohen Zuggeschwindigkeit über relativ warmen Wasser kühlte sich die warme Luft kaum ab und erreichte als subtropische Meeresluft den Kontinent. Dadurch konnte die Temperatur in Mitteleuropa vielfach auf Werte zwischen 11°C und 15°C steigen.
In St. Bartholomä am Königssee waren es fast 18°C und in Gumpoldskirchen bei Wien 20°C – mitten in der Nacht.
Auf der Südseite der Alpen kam es zu Föhn und Turin meldete mit 25,1°C einen Sommertag. Der alte Höchstwert für Januar wurde damit deutlich übertroffen.
Mit dem Durchgang der Kaltfront kam es in Sachsen zu einem kräftigen Temperatursturz von mehr als 10 Grad (Oschatz, Dresden).

Viele Gewitter und ein Tornado

Entlang der Kaltfront bildeten sich zahlreiche Gewitter. Aufgrund des sehr starken Temperatur- und Feuchtegegensatzes hatten diese Gewitter sommerliche Ausmaße, sowohl was die Blitze als auch den Niederschlag angeht. Es kam zu ausgesprochen heftigen Schauern. In Berlin-Tempelhof fielen innerhalb einer Stunde 25 mm (etwa die Hälfte des üblichen Monatsniederschlags). Die andere Hälfte war schon vorher im Bereich der Warmfront und des Warmsektors von ‚Kyrill‘ gefallen. In Berlin-Dahlem kam (inklusive der Gewitter-Schauer) die höchste je im Januar gemessene Tagesmenge zusammen. Auch im westlichen Deutschland war der Regen sehr ergiebig. Dort kam es auch zu Überschwemmungen, insbesondere kleinere Flüsse konnten das Wasser nicht mehr aufnehmen. Beim Durchgang der Kaltfront wurden in Berlin-Kreuzberg innerhalb von 40 Minuten gleich 4 Gewitter beobachtet, die sehr schnell weiterzogen. Dabei kam es kurzzeitig – wie in vielen anderen Gebieten auch – zu Stromschwankungen. Wer angesichts der schmalen Linie heftiger Gewitter die Befürchtung hatte, dass da auch Tornados drinstecken, sollte leider bestätigt werden. In Wittenberg (Sachsen-Anhalt) gab es einen Tornado, der laut Wetteronline die Stärke 2-3 der Fujita-Skala erreicht hat.

Unmittelbare Folgen

Die europaweite Bilanz sieht etwa so aus:

  • Es gab mehr als 40 Tote sowie eine erhebliche Zahl Schwerverletzter.
  • Hinzu kamen Tausende von umgestürzten Bäumen, verwüstete Wälder nicht eingerechnet.
  • Verbreitet gab es erhebliche Gebäudeschäden, meist handelt es sich um abgedeckte Dächer oder um Gebäude, auf die ein Baum gefallen ist. In Barsinghausen gab es eine Kombination: Ein 6-stöckiges Wohnhaus wurde abgedeckt, das Dach fiel auf ein niedrigeres Haus und beschädigte das Gebäude schwer. Es war niemand zu Hause.
  • Hinzu kamen auch noch andere Sachschäden wie z.B. zerdrückte Autos.
  • Viele geknickte Strommasten mit den den entsprechenden Stromausfällen. In einigen Gebieten Brandenburgs saßen die Leute am Samstag noch ohne Strom da.
  • Beim funkelnagelneuen Berliner Hauptbahnhof zeigte es sich, dass er zwar schön anzusehen und auch übersichtlich, aber nicht wirklich sturmsicher ist. In Amsterdam hat das Dach des Hauptbahnhofs den Orkan nicht ausgehalten.
  • Wetteronline hingegen ist eher Opfer seiner ausgezeichneten Qualität geworden. Es wollten sich dermaßen viele Leute gleichzeitig dort informieren, dass die Seite zeitweise nur noch sehr schwer zu erreichen war.
  • Wenigstens blieb die befürchtete Sturmflut aus, weil sich ‚Kyrill‘ rechtzeitig vor Einsetzen der Flut verdrückt hatte.